Konkret bedeutet das: Nina Benko-Denninghaus hat einen ukrainischen Pass, „aber ich fühle mich als Russin.“ Zwei Herzen schlagen also in ihrer Brust. Und das ist nicht leicht, da ausgerechnet zwischen ihren beiden Heimatländern die Fronten mehr als verhärtet sind. „Da werden auch im Privatleben aus alten Freunden plötzlich Feinde“, sagt sie. Und sie versucht, die Mentalität zu erklären: „Der Deutsche versucht alles auszudiskutieren. Aber in der Ukraine und in Russland ist man radikaler. Da hat man eine ganz andere Streitkultur. Da behaart jeder auf seiner Meinung. Da gibt es nur Schwarz oder Weiß. In der Ukraine werden sogar russische Vornamen abgeändert.“
Doch nicht diese harsche Haltung war der Grund, warum sich Nina Benko-Denninghaus 1991 Deutschland als neue Heimat ausgesucht hat. Es war die Liebe. Die Sprachdozentin heiratete den mittlerweile verstorbenen Professor Dr. Friedhelm Denninghaus, den sie bei einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit 1985 am Puschkin Institut in Moskau kennen gelernt hatte, und der in der Auslandsgesellschaft NRW 1971 die Deutsch-Sowjetische Gesellschaft mitbegründet hat. Seine Ziele: schon damals der Abbau des Feindbildes und der gegenseitigen Vorurteile.
Auch Nina Benko-Denninghaus kam mit gewissen Vorurteilen nach Deutschland. „Und ich war angenehm überrascht“, erinnert sie sich. „Über die Freiheit. Über die Demokratie. Über die gute Wirtschaftssituation „Aber auch über die hervorragende wissenschaftliche Arbeit und die modernen Lehrmethoden in Deutschland.“ Sie erinnert sich lächelnd. „Als erstes habe ich mir in der Bibliothek Bücher ausgeliehen, die in meiner alten Heimat verboten waren. Und ich hatte nie Angst, dass ich denunziert werde.“
Relativ schnell engagierte sich Nina Benko-Denninghaus auch in der ehemaligen Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft (jetzt: Länderkreis Osteuropa), übernahm dort 1995 auch die Leitung, die sie sich bis 2012 mit Inna Khaitina teilte. „Ich wollte, dass die Menschen, die meine Sprache sprechen, sich aktiv an der Arbeit des Länderkreises beteiligen.“
Doch das Interesse an dem Länderkreis und seinem Angebot war auch bei den Deutschen groß. Die UdSSR zerfiel. Europa war im Umbruch. Glasnost und Perestroika beherrschten die Schlagzeilen. Der Länderkreis versuchte, den großen Informationsbedarf zu stillen.
„Mittlerweile haben sich unsere Schwerpunkte geändert“, sagt Nina Benko-Denninghaus. Heute liegt der Schwerpunkt eher auf der Arbeit mit den ehemaligen Landsleuten. Auf ihrer Kultur und auf ihrer Integration.
Etwa 3,5 Millionen Menschen, die aus ehemaligen GUS-Staaten eingewandert sind, leben in Deutschland. Etwa 2000 Russen und 3000 Ukrainer sind es allein in Dortmund. Für sie will der Länderkreis Osteuropa die alte – und vor allem die gemeinsame – Kultur weiterpflegen und weitertragen und gleichzeitig die Integration vorantreiben.
„Mir geht es dabei auch um die jungen Leute, die oft besser Deutsch als Russisch sprechen. Sie sollen ihre alten Wurzeln nicht vergessen.“ Dafür organisiert der Länderkreis Gesprächskreise, Autorenlesungen, Lesungen, Theaterstücke auf höchstem Niveau. Vielfach werden dafür hochkarätigen Kunstschaffenden engagiert. Russische. Ukrainische. Jüdische. Und in Deutschland lebende Vertreter dieser Kultur. „Genau um diese Vielfalt geht es uns. Diese Vielfalt darf nicht verloren gehen. Sie muss bewahrt werden. Und auch die Deutschen, die selbst eine so reiche Kultur haben, sollen alles über unsere Kultur erfahren“, sagt Nina Benko-Denninghaus.
Viele Deutsche, aber noch mehr Migranten nehmen das Angebot gerne wahr. Bei ukrainischen Volksliedern und russischen Arien vergessen sie die ideologischen Grenzen. Sehr zur Freude von Nina Benko-Denninghaus: „Hier in Deutschland tauschen sich die Künstler und Zuhörer nationenübergreifend aus und schließen sogar Freundschaften. Die Kultur bringt sie einander näher.“
Politische Veranstaltungen organisiert der Länderkreis nicht viele. Bewusst nicht. Dennoch verfolgt Nina Benko-Denninghaus mit Sorge die Entwicklungen in der alten Heimat. Vor allem durch Gespräche mit der Familie und Freuenden, die noch in der Ukraine und in Russland leben, versucht sie sich – fernab von der Propaganda - ein reelles Bild zu verschaffen.
Die traurige Realität: Es gibt Tote. Gefechte. Rebellen. Korruption. Was wünscht sie sich da für ihre alte Heimat? Die Antwort kommt prompt: „Eine gerechtere und gewaltfreie Welt ohne Fanatismus und mit gegenseitigem Respekt. Eine Welt, in der jeder Liebe, Geborgenheit und Wärme bekommt. Die Menschen vergessen oft, wie zerbrechlich unsere Welt ist. Jeder von uns muss sich fragen, was er tun kann, dass die Welt besser wird und dass es weniger Kriege gibt. Ich hätte mir auch nie vorstellen können, dass in der Ukraine ein Krieg droht, dass das Land zerrissen ist und Waffen an der Tagesordnung sind. Man darf nicht vergessen: Die Ukraine gehört zu Europa. Und aus Resignation kommt nie etwas Gutes.“
Länderkreis Osteuropa in der Auslandsgesellschaft NRW e.V., hervorgegangen aus dem Länderkreis Osteuropa (gegründet 1952) sowie der Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft (1971).
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